Auch wenige Tage vor der Bundestagswahl am Sonntag zeigen sich die Wähler in den Umfragen unbeeindruckt: Kein TV-Format — sei es Duell, Quadrell oder Bürgerbefragung — hat die Deutschen zu einer Meinungsänderung in die eine oder andere Richtung bewegen können. Einzig bei den kleinen Parteien bleibt es spannend, die Linke hat wohl gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen, und auch die FDP zeigt in den letzten Umfragen eine leichte Tendenz, die 5%-Hürde zu überspringen. Am Ende bleibt die Frage, ob es der neuen Koalition — bestehend aus zwei oder drei Parteien — gelingen wird, der deutschen Wirtschaft neue Impulse zu geben, die Spaltung der Gesellschaft zu verringern. Und damit letztlich nichts weniger als zu beweisen, dass das politische System, wie wir es kennen, auch weiterhin funktioniert. Und in der Lage ist, die komplexen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, zu meistern. Ein Blick auf die vergangenen Wochen zeigt, wie schwierig es für die etablierten Parteien der Mitte werden kann. Durch den Aufstieg der AfD sind sie unter Druck geraten, Bundestagsdebatten wie die zum Zustrombegrenzungsgesetz der Unionsparteien lieferten dafür eindrückliches Anschauungsmaterial. “Wir sind hier nicht im Kindergarten”, rief etwa die grüne Außenministerin Annalena Baerbock einem CDU-Kollegen zu, der sie zuvor der Lüge bezichtigt hatte. “Vor dem Hintergrund dieses Scheiterns der Mitte wird eine ganz besondere Verantwortung auf der kommenden Regierung liegen, zu liefern”, sagte der Sozialdemokrat Michael Roth kürzlich in einem Interview mit Bloomberg. Er wird nach der Wahl aus der Politik ausscheiden, weil er eine Mischung aus Burnout und Frustration verspürt. Wachsende Ängste und Frustration in der Bevölkerung haben dazu beigetragen, dass die in Teilen rechtsextreme AfD in Umfragen auf den zweiten Platz vorgerückt ist und von einem Fünftel der Wähler unterstützt wird — vor allem in den krisengeschüttelten Regionen. “Immer mehr Menschen verlieren ihren Glauben an die Handlungsfähigkeit der Politik”, sagte der Berliner Unternehmer Harald Christ. Er verließ 2019 nach mehr als 30 Jahren Mitgliedschaft die SPD und schloss sich der FDP an – um sich dann im vergangenen Jahr auch von den Liberalen abzuwenden. “Das ist ein Weckruf, dass die etablierten Parteien jetzt wach werden und beginnen, neu zu denken und neu zu handeln.” Ein geschwächtes Deutschland würde auch Europa nicht unberührt lassen. Wenn die größte Volkswirtschaft des Kontinents in dauerhafte Schwierigkeiten geriete, würde dies die Instabilität verstärken, die durch den Zusammenbruch der Parteien der Mitte in Frankreich und Italien und den Aufstieg pro-russischer Bewegungen in Österreich, der Slowakei und Ungarn entstanden ist. Und das zu einer Zeit, in der die transatlantischen Beziehungen in Trümmern liegen, weil die Trump-Regierung versucht, die Europäische Union bei einem Abkommen mit Wladimir Putin zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zu umgehen. Aber es gibt auch (verhaltenen) Optimismus — selbst von einer Politikerin, die die Folgen der instabilen Politik mehr als viele andere zu spüren bekommen hat: Annegret Kramp-Karrenbauer. Die ehemalige saarländische CDU-Ministerpräsidentin und kurzzeitige CDU-Vorsitzende sollte Kanzlerkandidatin der Union 2021 werden, trat aber zurück, nachdem der Thüringer Landesverband der Partei im Februar 2020 mit der AfD zusammengearbeitet hatte. Obwohl sie nicht zum Zuge kam, ist Annegret Kramp-Karrenbauer optimistisch, dass das Land einen Weg finden kann, sich wie in der Vergangenheit zusammenzuraufen. Dazu brauche es aber den Willen zur Zusammenarbeit. “Wir sehen überall einen großen Veränderungsbedarf”, so Kramp-Karrenbauer. “Die Frage, die sich mir angesichts dieses Wahlkampfes stellt, ist: Kommt nach dieser Wahl eine Bundesregierung zustande, die die Kraft hat, sich auf die notwendigen Reformen zu verständigen?” Unterstützung dafür könnte von überraschender Seite kommen. Als US-Vizepräsident JD Vance am vergangenen Wochenende Deutschland für seine “Brandmauer” kritisierte und andeutete, das Land bringe seine Wähler zum Schweigen, widersprachen die etablierten Parteien. “Demokratie bedeutet nicht, dass die laute Minderheit automatisch Recht hat und die Wahrheit bestimmt”, sagte Verteidigungsminister und Sozialdemokrat Boris Pistorius daraufhin. Demokratie müsse sich gegen die Extremisten, die sie zerstören wollen, wehren können. Lesen Sie auch eine Auswahl unserer Artikel dieser Woche: Auto-Hoffnung, mehr Banker-Boni, grün verblasst, DEI-Abkehr und Banken auf Bürosuche. |